Allgemein,  Historisch

Lexikon von Licht und Schatten

Dieser Beitrag entstand anlässlich des Gedenktags der Befreieung
vom Nationalsozialismus am 08. Mai 1945.
Zu viele Namen sind in dieser Zeit ausradiert worden.
Sie sollen nicht vergessen vergessen werden.

Oft stellt man sich die Frage, ob ein Wieder-Heraufbeschwören der Ereignisse der Nazi-Diktatur in Deutschland zwischen 1933 und 1945 nötig ist. Manche argumentieren, dass es doch mit uns heute nichts zu tun habe und lange genug her sei, um endlich den Mantel des Schweigens darüberzulegen. Oder noch schlimmer: des Vergessens. Ich sehe das nicht so. Denn die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus hat das Gesicht Europas für immer verändert. Es hat sich eingebrannt in unser kollektives Gedächtnis und doch muss es immer wieder hervorgeholt werden. Was Menschen anderen Menschen angetan haben, wird nicht wieder gut gemacht, indem man sich davon distanziert. Es muss uns betroffen machen. Jeden einzelnen von uns. Denn eine Wiederholung der Geschichte darf es unter keinen Umständen geben.

Deshalb sind Gedenktage wie dieser so wichtig. Um uns Demut zu lehren vor den Opfern, die es gab. Demut vor den Entwicklungen, die uns unsere pluralistische Gesellschaft ermöglichten. Demut vor den Menschen, die nichts verbrochen haben. Außer einer bestimmten Ethnie, politischen Gesinnung, Religion oder Sexualität anzugehören. Menschen, deren Hoffnungen und Träume, deren Zukunft ihnen gewaltsam entrissen wurde und denen wir eines schulden: Sie nicht zu vergessen.

Das Buch, welches ich euch zu diesem Thema vorstellen möchte, hat mich besonders berührt.
Der Norweger Simon Stranger erzählt von der Familie seiner Frau, die einem der berüchtigsten norwegischen nationalsozialistischen Kollaborateure zum Opfer gefallen ist.

Um euch einen kleinen Einblick in die Stimmung des Buches zu gewähren, lasst mich den Klappentext zitieren:

Eine wahre Familiengeschichte, die zeigt, wie nah Dunkelheit und Hoffnung beieinanderliegen können.
In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen. 
Ein auf wahren Begebenheiten basierender Roman, der achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. Eine Erzählung über den Holocaust, über Familiengeheimnisse und über die Geschichten, die wir an unsere Kinder weitergeben.

Stranger, Simon: Vergesst unsere Namen nicht. Eichborn Verlag, 2019

Vergesst unsere Namen nicht.
von Simon Stranger
Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0072-6
Preis: 12,00€ (E-Book 9,99€)

Ich hatte im Rahmen der Lesereise 2019 in der Berufsschule die Möglichkeit, an einer Veranstaltung mit Simon Stranger mitzuwirken. Es gab eine Lesung und hinterher eine Diskussion in kleinem Kreis. Über diese Möglichkeit bin ich sehr dankbar, denn das Buch ist ein besonderes.
Auf wahren Begebenheiten beruhend, hat Stranger den Stoff zu einem Roman ausgearbeitet. Er setzt den Fokus aber nicht bloß bei den Vorfahren seiner Frau, sondern stellt den verachtenswerten Gestapo-Agenten Henry Rinnan in den Mittelpunkt.

Dieser ist nicht nur berüchtigt, sondern gefürchtet, da er sich durch besonders schreckliche Methoden und äußerste Brutalität einen Namen gemacht hat. Der Leser wird in ein Ringen zwischen der Hoffnung, dass doch alles gut werden müsse und dem Wissen, dass dem nicht so ist, gezogen. Man windet sich und kann das Buch doch nicht beiseite legen. Denn Stranger schafft es, auf perfide Art und Weise auch Rinnan menschlich erscheinen zu lassen. Er macht es dem Leser nicht leicht, einfach mit dem Finger zu zeigen, sondern spielt meisterlich mit den Gefühlen seines Publikums.

Gänsehaut und Unwohlsein gehören zu diesem Titel einfach dazu, was nicht nur an der schweren Thematik liegt. Das Konzept dieses Titels, die Kapitel alphabetisch zu benennen (Im Original heißt das Buch Leksikon om lys og mørke, also Lexikon von Licht und Dunkelheit), geht wunderbar auf und jedesmal, wenn es heißt „… wie …“ schaudert man, weil man eigentlich nicht wissen möchte, welche Beklemmung als nächstes folgt.

Im ganzen Grauen des Krieges gibt es aber auch Platz für Licht. Denn das Buch ist, vor allem anderen, die Geschichte einer Familie. Die Geschehnisse beeinflussen fast fünf Generationen der Familie Komissar und damit die Leben realer Menschen. Menschen, die in ihrem Herzen immer einen Teil ihrer Vorfahren tragen werden und die trotzdem ihren Weg gehen.

Strangers Roman ist ein wichtiges Buch. Denn es hält die Geschichte lebendig. Es schafft ein Gefühl für die damalige Zeit, für die wirren Gedanken eines fanatischen Verbrechers und für die vielen Stimmen, die man nicht mehr hören kann. Es ist ein Buch wider das Vergessen und jeder, der offen dafür ist, sich einmal abseits von Schullektüre und dokumentarischen Texten damit auseinanderzusetzen, sollte diesen Titel im Regal stehen haben.

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