Die Sehnsucht des Vorlesers
Bringt euch nicht allein der Titel zum Seufzen? Sehnsucht ist etwas, das jeder von uns kennt und allein das Wort löst ein Ziehen im Herzen aus. In Kombination mit dem Lesen entsteht für mich eine sehr verführerische Mischung. Das ließ mich damals auch zu diesem Buch greifen.
Ich nahm es des Titels und schönen Covers wegen. Doch was zwischen den Klappen steckt, hat mich nicht enttäuscht.
›Die Sehnsucht des Vorlesers‹ von Jean-Paul Didierlaurent ist eine wunderbare Hommage an die Magie des Lesens und Vorlesens für alle, die einen poetischen Roman mit leisem Humor mögen.
Karin Tator, Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 07.10.2015

Die Sehnsucht des Vorlesers.
von Jean-Paul Didierlaurent
übersetzt von Sonja Finck
erschienen bei dtv
ISBN: 978-3-423-21676-0
Preis: Tb 10,95€, E-Book 7,99€
Bewertung: ★★★☆☆
Anmerkung zur neuen Sternebewertung:
Ich zeige euch hier Bücher mit gewohnt hohem Niveau. Jeden der Titel, die ich euch vorstelle, kann ich guten Gewissens empfehlen. Dennoch ist nicht jedes Buch für mich ein perfekter Volltreffer. Um diese Nuancen besser abbilden zu können, habe ich mich entschieden, die Sternewertung einzuführen. Eine geringe Wertung bedeutet hier nicht, dass der Titel schlecht ist. Diesen würde ich euch nicht vorstellen. Ich sortiere und wähle jeden Titel sorgfältig aus, sodass die Sterne eher ein Spektrum im oberen Bereich darstellen und euch eine bessere Orientierung geben sollen.
Guylain Vignolles arbeitet in einer Papierverwertungsfabrik, in der jeden Tag tausende alter Bücher geschreddert werden. Es ist ein Job, in dem für ihn keinerlei Leidenschaft steckt. Im Gegenteil, die Zerstörung der Literatur kommt für ihn einem Schrubstock gleich, der seinen Griff immer enger zieht.
Um diesem Treiben einen kleinen Akt der Rebellion entgegenzusetzen, rettet er einzelne Seiten aus den Werken, die er morgens im Zug vorliest. Es hört nicht immer jemand zu, doch Guylain liest.
Eines Tages findet er auf seinem Stammplatz einen verlorenen USB-Stick. Neugierig steckt er ihn ein und entdeckt das Tagebuch einer jungen Frau.
Sie fasziniert ihn und er liest fortan in der Bahn aus ihrem Leben vor…
Es ist ein Buch wie ein französischer Film. Alltägliches wird hier so nüchtern erzählt, dass man als Leser darüber stolpert und fast ins Staunen gerät. Wie beim französischen Film weiß man allerdings am Ende nie so recht, woran man ist. Manche macht das wahnsinnig. Mich auch manchmal. Ein offenes Ende kann reizvoll sein, doch es birgt immer auch die Gefahr, seine Leser zu enttäuschen. Wie kann der Autor es schließlich wagen, nicht das Ende zu schreiben, das man sich wünscht?
Dennoch ist das Jammern auf hohem Niveau. Die Sehnsucht des Vorlesers ist ein zartes Buch. Man darf nicht mit großer Action oder Explosionen rechnen. Die Handlung entspinnt sich wie langsam aufziehender Nebel und man fragt sich lange, wohin einen Didierlaurent eigentlich führen möchte. Doch wenn man sich darauf einlässt, ist dieses Buch eines, was man in einem Rutsch durchlesen kann.
