Bevor ich dich sah
Hallo ihr Lieben. Wie ihr vielleicht festgestellt habt, sind die Posts ein bisschen seltener geworden. Das hat einen einfachen Grund: Ich muss erst wieder neue Titel lesen, die ich euch vorstellen kann. Diejenigen unter euch, die arbeiten, wissen, dass es nicht immer leicht ist, Beruf, Privatleben und Hobbies unter einen Hut zu bringen. Darunter soll aber nicht die Qualität meiner Beiträge leiden und so muss ich deren Quantität reduzieren. Gern dürft ihr mir natürlich immer auch Buchtipps geben. Man kann schließlich bei der Fülle großartiger Titel nicht jeden kennen.
Nun aber zum heutigen Thema. Ich habe für euch Emily Houghtons Debutroman mitgebracht. Die Londonerin hat sich wohl den Spruch „Liebe macht blind“ zu Herzen genommen, denn ihr Roman handelt davon, sich selbst und andere lieben zu lernen, auch ohne sich von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen. Mehr davon aber nach der Zusammenfassung:

Bevor ich dich sah.
von Emily Houghton
übersetzt von Stefan Lux
erschienen im Heyne Verlag
ISBN: 978-3-453-42543-9
Preis: 14,00€
Bewertung: ★★★☆☆
Alice wird mit schweren Brandwunden ins Krankenhaus eingeliefert. Sie weigert sich auch auf der Reha-Station noch, sich von irgendjemandem sehen zu lassen. Zu fremd fühlt sie sich mit ihren Narben. Doch Alfie, der lebenslustige Patient im Bett neben an, lässt sich nicht von dem Vorhang zwischen ihnen stören. Er berührt ihre Hand und schließlich ihr Herz. Doch kann eine Liebe wachsen, ohne den Menschen sehen zu können?
Ich habe die Geschichte von Alice Gunnersley und Alfie Mack verschlungen. Die Dialoge sprühen vor Witz, was die Charaktere leicht nachvollziehbar und plastischer macht. Alice, die kühle Analytikerin, die jeden Menschen auf Abstand hält, ist zynisch und klug, sie hat einen beißenden Humor und kann sich wunderbar gegen Alfie behaupten. Er hingegen trägt meist das Herz auf der Zunge. Er ist stets gut gelaunt, immer mit einem flotten Spruch auf den Lippen und um keine Antwort verlegen. Seine launige Art täuscht Alice aber nicht über die Abgründe in ihm hinweg, denn von Flashbacks und Albträumen geplagt, öffnet er sich ihr in nächtlichen Gesprächen. Er ist geduldig und lockt Alice nach und nach aus ihrem Schneckenhaus.
Das Handlungsgerüst ist solide und ein herrlich erfrischender Ansatz. Doch der Heilungsprozess hat mich nicht abgeholt. Wenn ich an Buchfiguren denke, wünsche ich mir als Leser natürlich, dass sie realistisch sind und ich mich gut mit ihnen identifizieren kann. Das ist mir wichtig. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Unsicherheiten sind an Charakteren wichtig. Doch wenn sie die Persönlichkeit über die Maße bestimmen, ermüdet mich das schnell. Alice‘ Sturheit und ihr Unwillen zur Erkenntnis finde ich zuweilen anstrengend. Es ist ja verständlich, dass Menschen das Offensichtliche nicht sehen wollen – doch von einer Buchfigur erwarte ich mehr. Ich möchte, dass sie mir ein Vorbild ist, mich leitet, mir zeigt, wie es gehen kann. Das passiert leider nicht. Daran störe ich mich.
Alles in allem macht es den Roman nicht kaputt, er ist flüssig geschrieben und eignet sich wunderbar für etwas Zerstreuung mit einem Mindestmaß Tiefgang. Ja, es werden auch ernste Themen angesprochen: Identität, Oberflächlichkeit, Schuld. Das alles nimmt dabei nie Überhand, sondern ist gut ausbalanciert. Insgesamt ist der Roman gelungen. Für mich wird er aber nicht in die Top 10 aller Zeiten kommen.

