Lust auf Meer?
(Klappentext) Nachdem ihr Vater die Familie verlassen hat, ist Jule mit ihrem Bruder und ihrer selbstmordgefährdeten Mutter aufgewachsen. Als Erwachsene hat sie sich einen Alltag geschaffen, in dem sie alles nur noch irgendwie erträgt: ihren Job als Sängerin, die unzähligen Anrufe ihrer Mutter, den ganzen Hass in ihr, der sie fast verschwinden lässt. Als auch ihre Beziehung zu bröckeln beginnt, flieht sie zu ihrem Bruder nach England, auf der Suche nach Ruhe und Anonymität.
Doch dort trifft sie auf ihren Vater, der im Sterben liegt. Zaghaft beginnt Jule einen letzten Versuch, sich dem Mann anzunähern, von dem sie sich ihr Leben lang im Stich gelassen gefühlt hat.

180 Grad Meer
von Sarah Kuttner
Verlag: Fischer Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-03576-2
Preis: 9,99€
Jule liebt das Kaputte. Vielleicht, weil sie aus einer kaputten Familie kommt, vielleicht, weil sie selbst nach all den Jahren des Hasses ein bisschen kaputt ist. In diesen rund 270 Seiten ist sie mir ans Herz gewachsen. Dabei macht sie es ihren Mitmenschen nicht immer leicht, sie zu mögen. Sie wollte immer alles richtig machen, doch das Leben meinte es nicht gut mit ihr. Nach Jahren des Sich-Kümmerns und Sich-Sorgens ist ihr alles ein wenig über den Kopf gewachsen. Sie verzettelt sich immer mehr in ein Leben, das ihr nicht so recht passen will. Und als ihr die schlechten Entscheidungen der Jahre schließlich um die Ohren fliegen, muss sie sich dem schärfsten Kritiker stellen: Sich selbst.
Ich liebe es, wie Sarah Kuttner das Normale, das Profane, vielleicht das Ordinäre so darstellt, dass für mich der Anstoß die Grenze zum Störfaktor nicht überschreitet. Ich reibe mich an den Charakteren auf, doch sie sind mir nie ganz zuwider. Kuttners Darstellung von Unsicherheit und Verlorenheit bringen etwas in mir zum Klingen und der Roman fühlt sich in sich für mich wie ein Tag am Meer an. Der Moment des Innehaltens, Durchatmens. Man fragt sich, wo man steht und leidet mit der Protagonistin. Das Buch ist kein glattgebügelter Feel-Good-Roman. Es ist rau, hat metaphorische Eselsohren und Kaffeeflecken. Aber unter dieser harten Schale steckt ein feinfühliger, scharf beobachteter Roman, der mich mehr als einmal auch hat kichern lassen.
Kuttners Schreibstil ist schwer zu beschreiben, wenn man noch nie etwas von ihr gelesen hat. Doch ich kann die Bücher jedem ans Herz legen, der sich mit ein bisschen Offenheit auch an schwierige Themen traut. Für Unentschlossene gibt es hier noch eine Leseprobe.
Ich habe das Buch regelrecht verschlungen und habe definitiv Luft auf Me(e/h)r.
